Course Image Weltgedächtnis, Singularität und multidirektionale Erinnerung: der ›Historikerstreit 2.0‹ - SoSe 2024

Weltgedächtnis, Singularität und multidirektionale Erinnerung: der ›Historikerstreit 2.0‹ - SoSe 2024

Seit knapp drei Jahren wird derart erbittert um die (Neu-)Ausrichtung der deutschen Erinnerungskultur gestritten, dass sich in der Öffentlichkeit die Etikettierung der Debatte als ›Historikerstreit 2.0‹ etabliert hat. Ging es im ersten Historikerstreit von 1986/87 um das Verhältnis von Bolschewismus, Nationalsozialismus und Holocaust, an dessen Ende sich die Singularitätsthese politisch etablierte und die öffentliche Erinnerung an den Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden zur staatlichen Aufgabe avancierte, so wird nunmehr vor allem die Frage nach dem erinnerungspolitischen Verhältnis der Kolonialgewalt zum Holocaust virulent, ohne auf dieses beschränkt zu bleiben. Lange vor dem sogenannten ›zweiten‹ bzw. ›neuen‹ Historikerstreit und der damit einhergehenden Skandalisierung eines einzelnen Debattenstrangs entbrannten Kämpfe um die Anerkennung weiterer Opfergruppen des Nationalsozialismus, aber auch um die deutsche Aufarbeitung der verdrängten imperialen und kolonialen Gewaltgeschichte sowie für eine Erweiterung der Erinnerungskultur um Deutschlands Schwarze Geschichte, die Lebensrealitäten der sogenannten ›Gast-‹ und ›Vertragsarbeiter*innen‹, rechte Kontinuitäten nach 1945 oder jüdische und migrantische Perspektiven auf die Wende- und Nachwendezeit. Bei all diesen Initiativen ging und geht es um die Frage, wessen Erinnerung zählt, und damit auch um die identitätsstiftende Wirkung (post-)nationaler Erinnerungskulturen. Denn was, wie und an wen ›wir‹ erinnern beeinflusst immer auch, wer und was dieses ›wir‹ ist, wer dazugehört und wer nicht. Das Seminar rekonstruiert die gegenwärtig geführte Auseinandersetzung um die Holocaust-Erinnerung als zentralem Element der deutschen Erinnerungskultur. Untersucht werden dabei die unterschiedlichen Verwendungsweisen der Singularitätsthese und deren normative Konsequenzen, um jenseits der Polemik gegen ein vermeintliches Vergleichstabu danach zu fragen, wie sich Singularität und Globalisierung bzw. Kosmopolitisierung der Holocaust-Erinnerung zueinander verhalten und welche Alternativen dabei sowohl zur Hierarchisierung des Leidens und der Opferkonkurrenz als auch zur Einebnung aller Differenzen im Namen eines vermeintlich universellen Ethos formuliert werden.